Der Text im Präludium von Max E. Keller besteht aus Satzfragmenten wie "Muss verboten werden", " Muss geregelt werden", "Muss umerzogen werden". Er sagt nicht, wer was verbieten will, aber er markiert eine gesellschaftliche Tendenz: in Europa, Russland, China, in arabischen Ländern, Nordkorea, USA u.a. wird auf verschiedensten Gebieten und von verschiedenen politischen Positionen aus mit autoritären Direktiven, Überwachung und Verboten versucht, die Menschen zu bevormunden. Die Musik ist sozusagen diese unausgesprochenen Gegenwelt. Sie ist anarchisch, ungeordnet, wild, aber auch sensibel und still. Der Freiraum der Interpretierenden ist gross, oft improvisando.
"In der Nahaufnahme verwildern wir" heisst Rolf Hermanns neuer Gedichtband (2021). „im störgarten“ ist einer der vier Zyklen daraus: ein Gang durch einen längst verschwundenen Obstgarten. Er zoomt mitten hinein in unsere Lebenswelt mit ihren globalen Verflechtungen, ihren Hotspots und Flächenbränden, ihren Erschöpfungszuständen. Rolf Hermann dazu: „Im Zyklus „im störgarten“ ist die Trauer ein zentrales Motiv. Dieser Zyklus spielt in einem Gebiet (Leukerfeld), das mir seit meiner Kindheit vertraut ist. Die Landschaft wurde in den letzten Jahren tiefgreifend verändert. Äcker,
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Der Text im Präludium von Max E. Keller besteht aus Satzfragmenten wie "Muss verboten werden", " Muss geregelt werden", "Muss umerzogen werden". Er sagt nicht, wer was verbieten will, aber er markiert eine gesellschaftliche Tendenz: in Europa, Russland, China, in arabischen Ländern, Nordkorea, USA u.a. wird auf verschiedensten Gebieten und von verschiedenen politischen Positionen aus mit autoritären Direktiven, Überwachung und Verboten versucht, die Menschen zu bevormunden. Die Musik ist sozusagen diese unausgesprochenen Gegenwelt. Sie ist anarchisch, ungeordnet, wild, aber auch sensibel und still. Der Freiraum der Interpretierenden ist gross, oft improvisando.
"In der Nahaufnahme verwildern wir" heisst Rolf Hermanns neuer Gedichtband (2021). „im störgarten“ ist einer der vier Zyklen daraus: ein Gang durch einen längst verschwundenen Obstgarten. Er zoomt mitten hinein in unsere Lebenswelt mit ihren globalen Verflechtungen, ihren Hotspots und Flächenbränden, ihren Erschöpfungszuständen. Rolf Hermann dazu: „Im Zyklus „im störgarten“ ist die Trauer ein zentrales Motiv. Dieser Zyklus spielt in einem Gebiet (Leukerfeld), das mir seit meiner Kindheit vertraut ist. Die Landschaft wurde in den letzten Jahren tiefgreifend verändert. Äcker, Felder und Wiesen wichen Gewerbe- und Industriezonen, einem Golfplatz und einer Autobahn. Die unausgesprochene Frage, die sich durch diesen Zyklus zieht, lautet für mich denn auch: Was geht in uns vor, wenn eine Landschaft, die wir seit unserer Kindheit lieben, entstellt wird? Da scheint mir die Verwilderung durchaus eine ratsame Option zu sein.“
Eine musikalische Interpretation einer literarischen Anverwandlung Rilke’scher Gedichte: „im störgarten“ ist ein Liederzyklus für Stimme, Blockflöten und Elektronik von UMS'nJIP. Kompositorisch greifen UMS'nJIP das Thema der schleichenden Naturentstellung auf und interpretieren diese in einem etwa 80 Minuten dauernden musikalischen Prozess: Ausgehend von abstrakten Geräuschfragmenten — an Naturgeräusche erinnernd — entwickeln sich mehrere Verdichtungsprozesse. Anfänglich in ihre Klangbestandteile aufgelöst und kaum im Raum wahrzunehmen, werden Worte und Sätze mit fortschreitender Dauer zunehmend als Sinneinheiten wahrnehmbar und melismatisch eingebunden. Auch die Klänge unterstehen einer Metamorphose: sind sie anfangs ausschliesslich analog erzeugt, so schleicht sich im Verlauf des Stückes immer mehr die elektronische Substitution ein. Dass diese zunehmend in einem „verführerischen“ popkulturellen Kleid daherkommt, verleiht dem Ganzen eine verstörend-reizende Ambivalenz, welche mit unseren ästhetischen Erwartungshaltungen spielt und diese als blosse Hüllen entlarvt, relativiert - und bricht. Analog zu Rolf Hermanns Wunsch: „die Sinnlichkeit und die Verletzlichkeit der Welt in Worten erfahrbar zu machen“ machen UMS’nJIP dieselbe Sinnlichkeit und Verletzlichkeit nun auch in Klängen erfahrbar.
UMS'nJIP sind eines der profiliertesten Ensembles für Neue Musik der Gegenwart und an den bedeutendsten Konzertstätten für Neue Musik zuhause (Teatro Colón Buenos Aires, Liceu Barcelona, Steghi Athen, Palacio de Bellas Artes Mexico City, Biennale Musica Venezia). Über 1400 Konzerte, mehr als 300 Uraufführungen in 40 Ländern und 35 internationale Preise säumen ihren musikalischen Weg. 2022 lassen sie sich in Münster/Goms nieder und eröffnen mit dem MEbU, dem Münster Earport, am Fusse des Rhonegletschers einen Kunstraum für experimentelle Kammermusik.
http://umsnjip.ch, http://mebu.umsnjip.ch
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