Einführung
Ein Wiedersehen mit Alfred Hitchcock
Wenn wir in unserem Filmgedächtnis navigieren, bleiben vom Werk Alfred Hitchcocks überwiegend Spannungssequenzen haften – denken wir an Cary Grant am Prärie-Stopp: ein Angriff eines Flugzeugs über einem Maisfeld; oder das auslaufende Benzin an einer Tankstelle und das verzweifelte Rufen von Tipi Hedren; oder der Blick von Raymond Burr, als mutmaßlicher Gattinnen-Mörder, auf den Ehering in den Händen von Grace Kelly - ; doch wie steht es dabei mit unserem musikalischen Gedächtnis? Eine dramatische Steigerung, ja Aufgipfelung der Zuschauerempfindungen durch orchestralen Einsatz in Spannungssequenzen ist uns aus Indy-Jones-Filmen oder Star-Wars-Episoden geläufig, dabei stets als Musikeinsatz von außerhalb des Erzählraums. Während der Stummfilmzeit war das Orchester deutlich vor der Leinwand sichtbar, im sogenannten außerdiegetischen Raum.
Der Tonfilm hingegen gestattete den Einsatz von Musik in der Szene, wobei die Tonquelle auf der Leinwand sichtbar wurde: Das Pfeifen von Peter Lorre in Fritz Langs „M“; die Zither in Carol Reeds „Der dritte Mann“; ein eingeschaltetes Radio. Das Begriffspaar Musik on screen und Musik off screen hat sich als nützlich eingebürgert. Klingt die Filmmusik innerhalb der Handlung, von sichtbaren
...
show more
Einführung
Ein Wiedersehen mit Alfred Hitchcock
Wenn wir in unserem Filmgedächtnis navigieren, bleiben vom Werk Alfred Hitchcocks überwiegend Spannungssequenzen haften – denken wir an Cary Grant am Prärie-Stopp: ein Angriff eines Flugzeugs über einem Maisfeld; oder das auslaufende Benzin an einer Tankstelle und das verzweifelte Rufen von Tipi Hedren; oder der Blick von Raymond Burr, als mutmaßlicher Gattinnen-Mörder, auf den Ehering in den Händen von Grace Kelly - ; doch wie steht es dabei mit unserem musikalischen Gedächtnis? Eine dramatische Steigerung, ja Aufgipfelung der Zuschauerempfindungen durch orchestralen Einsatz in Spannungssequenzen ist uns aus Indy-Jones-Filmen oder Star-Wars-Episoden geläufig, dabei stets als Musikeinsatz von außerhalb des Erzählraums. Während der Stummfilmzeit war das Orchester deutlich vor der Leinwand sichtbar, im sogenannten außerdiegetischen Raum.
Der Tonfilm hingegen gestattete den Einsatz von Musik in der Szene, wobei die Tonquelle auf der Leinwand sichtbar wurde: Das Pfeifen von Peter Lorre in Fritz Langs „M“; die Zither in Carol Reeds „Der dritte Mann“; ein eingeschaltetes Radio. Das Begriffspaar Musik on screen und Musik off screen hat sich als nützlich eingebürgert. Klingt die Filmmusik innerhalb der Handlung, von sichtbaren Instrumenten gespielt, wird sie als diegetisch bezeichnet; steht die Quelle außerhalb, als extra-diegetisch. Beiden Musik-Einsätzen ist übrigens gemein, dass sie als Element der Kontinuität fungieren, etwa gegenüber dem Film-Schnitt bzw. der Bild-Montage einerseits, oder gar sequenzübergreifend an der Sinn-Produktion andererseits beteiligt sind.
In einem der erfolgreichsten Filme von Alfred Hitchcock, „Eine Dame verschwindet“, hört die ältliche Musiklehrerin Miss Froy vor dem Fenster ihres Hotels einem lokalen Troubadour zu, der unterhalb ein Ständchen singt. Während Miss Froy die Melodie vor sich hin summt, bekommt sie nicht mit, dass der Sänger einem Würger zum Opfer fällt. Die Eisenbahnreise in Richtung London ist voller Turbulenzen und Intrigen, und im dortigen Auswärtigen Amt muss die melodiöse Geheimbotschaft mühsam rekonstruiert werden.
In Hitchcocks „Fenster zum Hof“ hört der Zuschauer nichts anderes als die Protagonisten selber (Stille, Sraßenlärm, Radioklänge, Klavierspiel), auch im Moment höchster Spannung gibt es keine Musikuntermalung. Ein Komponist im Film entwickelt derweil das leitmotivische Lied „Lisa“ über den ganzen Film hindurch. Es rettet ein Menschenleben.
In dem Film „“Der Mann, der zuviel wusste“ (1956), ein Remake des gleichnamigen Films von 1934, treibt Hitchcock die Spannung, den Suspense, in einem Konzert in der Royal Albert Hall in London auf die Spitze. Die Zuschauer wissen mehr als das verzweifelte Ehepaar Doris Day-James Stewart, dass nämlich beim Beckenschlag in der Cantata „Storm Clouds“ der Premierminister eines auswärtigen Staates erschossen werden soll. Der Filmkomponist Bernard Herrmann wird on screen auch als Konzert-Dirigent sichtbar. Nicht genug damit, wird das von Doris Day vorgetragene Lied „Que Sera, Sera“ in der Botschaft des Premiers eine erneute Spannungssequenz einleiten.
Film; „Eine Dame ...“
Regie: Alfred Hitchcock
GB 1938; 96 min.
Mit: Margaret Lockwood, Michael Redgrave, Dame May Whitty
Die Reisenden eines Zuges sitzen auf einem Gebirgsbahnhof in der fiktiven Diktatur Bandrika fest. Ein Lawinenabgang hat die Strecke zwischen Budapest und Basel unterbrochen. Zunächst in einem überfüllten Gasthof, schließlich in Eisenbahnabteilen treffen englische Cricket-Fans, ehebrechende Paare, vermögende Töchter und Volkslied-Experten aufeinander. Doch wo ist die warmherzige Miss Froy abgebleiben? War sie überhaupt an Bord? Weder die finstere Frau des bandrikischen Propagandaministers noch ein italienischer Zauberkünstler stellen Klarheit in Aussicht. Suspense und Humor, ohne diese Kombination geht es bei A. H. nicht.
show less